Presse zum «Graatzug»

Die wichtigsten Pressestimmen in ganzem Umfang hier:

Aargauer Zeitung/Mittelland-Zeitung, 20. 2. 2007 
«Du sollst nicht langweilen» 
Mit seinem Roman «Graatzug» holt der in Ennetbaden und Disentis lebende Autor Urs Augstburger die Walliser Sagenwelt zurück in die Gegenwart. 
Markus Bundi 
Der Tauchgang des einen im Ploner Stausee, die Zerrissenheit des andern, weil er schon immer Künstler war und nie Geschäftsmann werden wollte. So startet Urs Augstburger den Reigen zu seinem fünften Roman. Wir sind irgendwo in den Walliser Bergen. «Die Bergwelt ist Teil meiner Realität», sagt der Autor im Gespräch. Wenn man sich mit dieser Welt befasse, würde einem schnell klar, dass sich in den Bergen alles akzentuiert. «Die Gipfel sind höher, die Abgründe sind wirkliche Abgründe, die Natur hat eine andere Dringlichkeit. Während wir im Unterland bei einem solch warmen Winter manchmal froh sind, dass es weniger ‹Pflotsch› auf den Strassen hat, taut in den Bergen der Permafrost, Felswände kommen herunter.» 
Xeno Rothen, der Taucher, Silvan Bohrer, der vom Vater Hotels und Campingplatz übernommen hat › sie beide stammen aus alten Ploner Geschlechtern, deren Geschichten aber damals beim Bau der Staumauer und des Stollensystems in den Sechzigern einen je anderen Verlauf nahmen. Und dies ist die andere Zeitebene, auf der Augstburgers Bergroman spielt, im Blick die Generationen der Grossväter und Väter, deren Frauen und ihrer aller Schicksale. So mussten die Rothens gegen ihren Willen den eigenen Hof verlassen, er würde sich künftig unter dem Wasserspiegel befinden. Und Pius Rothens Lebenswerk und Stolz, die Wasserleitung oben an der «Blanken Platte», sie würde bald obsolet werden. 
In «Schattwand» (2001), Urs Augstburgers erstem Roman der geplanten Bergtrilogie, ging es noch um den Einbruch des Tourismus, des Fremden in die wohlgeordnete Welt der Alpen. «Graatzug» nun ist die Geschichte um den Einbruch der Technologie und Industrie in die bäurische Bergwelt. «Und es ist eine Rachegeschichte», ergänzt der Autor, «bei der bis zum Schluss nicht klar wird, ob der Rächer in der Geschichte eine reale Figur oder eine arme, im ‹Graatzug› gefangene Seele ist.» 
Zu Xeno und Silvan gesellt sich eine dritte Hauptfigur, aus deren Perspektive ebenfalls erzählt wird: Lena Amherd taucht auf, weil in Plon die nächste Planungsrunde ansteht. Lena stammt ebenfalls aus dem Dorf, ist Vertreterin von GreenForce und darauf bedacht, dass der Walliser Natur nicht noch mehr Schaden zugefügt wird. Lena, ein Quatemberkind und also mit einem Sensorium für übersinnliche Phänomene ausgestattet, ist bald mehr in die Ploner Geschichten verstrickt, als ihr lieb ist. 
Schon an ihrem ersten Abend wirft sie ein Auge auf einen Schwimmer im Pool des Hotels, treibt kurz darauf mit einem unbekannten Zimmernachbarn ein erotisches Spiel, und tags darauf erfährt sie von den geheimen Plänen, auf dem Gebiet des geplanten Naturschutzparks einen Golfplatz zu errichten. Der Leser beginnt zu ahnen: Alles hängt in diesem Roman mit allem zusammen. «Graatzug» beinhaltet denn auch kriminalistische Züge, breitet ein Puzzle von Figuren aus, deren Bezüge über Generationen reichen und sich nur nach und nach offenbaren. «Du sollst nicht langweilen», nennt Urs Augstburger sein oberstes Gebot, wenn es ums Erzählen geht. Einen Gutteil zur Spannung tragen die alten Ploner Sagen und Bräuche bei. So ertönt plötzlich wieder der Klang des alten Merkhammers im Tal jenes Signal gab den Einwohnern früher die Gewissheit, dass die Wasserleitung intakt war. 
Doch wenn der Hammerschlag nur um Mitternacht und um drei Uhr zu hören ist, dann ist das kein gutes Zeichen. Darüber weiss die alte Selma Bescheid, Silvans Tante, die auf dem Campingplatz aushilft, die aber auch ein Buch über die alten Sagen der Gegend geschrieben hat: «Vo Tämperchind und annr Gschichtä vam Aabusitz.» Selma vermutet, dass der «Graatzug» umherirrt: «Eine der armen Seelen wird zurückgehalten. Liegt in Fesseln sozusagen. Irgendeine Sühnengeschichte. Jetzt müssen die andern auf ihn warten.» 
Zu den «armen Seelen» zählen jene sieben Männer, die im Februar 1960 im Stollen zu Tode kamen, darunter auch Xenos Vater, der im Jahr zuvor noch seinem Vater half, die alten Wasserleitungen zu reparieren. Die «Suonen», wie die Walliser sagen, doch macht Lena noch eine andere Entdeckung, als sie im Glossar von Selmas Buch nachschlägt: «Suon» ist auch der althochdeutsche Ausdruck für «Sühne». Die Selbstgespräche von Xenos Grossvater dürften sich ebenfalls um dieses Wort gedreht haben, und schon damals fragte der kleine Bub die Grossmutter: «Wenn denken das ist, was man nicht sagt, warum sagt dann der Grossvater, was er denkt?» 
Und Augstburger ergänzt im Gespräch: «Jeder, der verletzt wird, sinnt auf Rache. Bei fast jedem, der Aussergewöhnliches erreicht, vermute ich zuallererst Verletzungen in Jugendzeiten, die zu gesteigertem Ehrgeiz und verstärktem Durchhaltewillen oder auch Geltungsdrang führten. Das können kleine Dinge sein.» Kleinste Dinge gewissermassen verkürzen das Leben so manchen Mineurs. Das Eindringen in den Berg bleibt nicht ohne Folgen, zugleich dringt der Berg in die Arbeiter ein: Kaum einer kommt ohne Staublunge davon, es sei denn, er stirbt schon früher, bei einem Stolleneinsturz. Gar zum Bergsturz kommt es bei der Einweihung des neuen Werks, ausgelöst von Geisterhand im wahrsten Sinn des Wortes. Virtuos stellt der 42-Jährige Natur und Technologie einander gegenüber, die Mythen erwachen und bringen die Wirklichkeit mächtig ins Wanken. 
Auch wenn Aspekte einer Kulturkritik in «Graatzug» sichtbar werden, so handelt es sich doch zunächst um einen Generationen umspannenden Roman. Manifest und scheinbar unverrückbar die alte Staumauer und das neue Werk, doch sind es weniger die sichtbaren Dinge, die Augstburgers Bergroman ausmachen. Es ist das Innenleben der Hauptfiguren, eine Verwandtschaft oder geistige Verbundenheit von Lena, Silvan und Xeno, denn die Frage um Herkunft und Identität beschäftigt sie alle drei, wenn auch auf je eigene Weise. «Graatzug» ist fraglos ein Glücksfall: ein spannender Roman voller Überraschungen, ein Buch auch mit Humor und nicht zuletzt eine Geschichte mit Tiefgang. 
Blick, 29.2.2007 
Die Geister nehmen Rache 
Autor Urs Augstburger (42), Journalist, lebt in Ennetbaden AG. «Graatzug[100]» ist sein fünfter Roman und der zweite aus seiner Bergtrilogie nach «Schattwand». 
Ein Familiendrama im Walliser Bergdorf Plon. Zwischen zwei Familien schwelt über drei Generationen hinweg ein Konflikt. Es geht um den Bau des Staudamms, der das «Seegut» der Familie Rothen flutet. Der Sohn Arnold kommt bei den Bauarbeiten zum Staudamm um. Die Familie Bohrer hingegen profitiert davon: Josef Bohrer wird zum Hotelier und Dorfkönig. 40 Jahre später: Der Taucher Xeno Rothen besucht das «Seegut». Der Merkhammer, der das ordnungsgemässe Funktionieren der alten, durch den Stausee überflüssig gewordenen Wasserkanäle anzeigt, beginnt wieder zu hämmern. Aber nur nachts ist er zu hören, wenn die verlorenen Seelen im Graatzug auf die Gletscher ziehen. Die Wasserkanäle heissen «Suonen», was auch «Sühne» bedeuten kann. Der Erbe des Dorfkönigs, Silvan Bohrer, plant im Naturschutzgebiet des Tales einen Golfplatz, weil er Geld machen und endlich Filme drehen will. Die Umweltaktivistin Lena Amherd findet das heraus. Sie ist ein Quatemberkind, und die sind empfänglich für Übersinnliches. Sie spürt, dass sich im Tal eine Katastrophe anbahnt. 
Technik gegen heile Welt, Jung gegen Alt, Business gegen Umweltschutz, Übersinnliches gegen Realität: eine faszinierende Mischung, die sich auch als Krimi lesen lässt. Und sie lässt die Leser mit der Frage zurück, was wirklicher ist: die Welt der Menschen oder jene der Geister im Graatzug? Gerd Löhrer 
Financial Times, 6.3.2007 
Highlights auf dem Buchmarkt 
Graatzug - ein Bergroman 
Ein Bergroman? Schon mit seinem Überraschungserfolg von 2001 \"Schattwand\" nahm sich Urs Augstburger dieser leicht staubig anmutenden Literaturgattung an. In \"Graatzug\", dem zweiten Band seiner Bergtrilogie, erzählt der Schweizer die Geschichte des Walliser Bergdorfs Plon, in dem zu Beginn der 60er-Jahre mit dem Bau einer riesigen Staumauer die Moderne einzieht. Binnen kurzer Zeit ändert sich das Leben der Dorfbewohner radikal. Habgier, Starrsinn und skrupelloses Unternehmertum führen zu Zerwürfnissen, die bis in die Gegenwart fortwirken. Über drei Generationen spannt Augstburger seinen Handlungsbogen und beschreibt Konflikte zwischen alter Bergwelt und neuer Elektrizitätswirtschaft. Einzig bei einem Motiv gerät Augstburger in gefährliche Nähe zum Heimatroman: Die Liebe zwischen Hotelerbe und Umweltaktivistin steckt voller Klischees - aber vielleicht ist das ja so in den Bergen. 
Von Martin Schaefer 
Winterthurer Landbote, 17.3.2007 
Ein Berg von Heimatroman 
Eveline Rutz 
In seinem zweiten Bergroman, «Graatzug», zeigt Urs Augstburger einen Zwist zwischen Natur und Technik. 
«Tomorrow ist the price for yesterday.» Die Worte des amerikanischen Rockmusikers Bob Seger, die dem neusten Roman UrsAugstburgers vorangestellt sind, klingen wie eine Drohung. Das Morgen ist der Preis für das Gestern. Was eine Generation beschlossen hat, muss die nächste ausbaden. In Plon, einem fiktiven Walliser Bergdorf, bedeutet dies, mit einem Staudamm zu leben. Darüber in die Haare geraten sind sich die zwei Familien Bohrer und Rothen. Die eine hat vom Staudamm profitiert und mit einem Hotel das grosse Geschäft gemacht. Die andere hat unter der Umsiedlung gelitten und bei den Bauarbeiten einen Sohn verloren. Auch vierzig Jahre nachdem Plon überflutet worden ist, erhitzt der 
Eingriff in die Natur immer noch die Gemüter. Der Streit setzt sich in den nächsten beiden Generationen fort, neuer Konfliktstoff kommt 
hinzu. Ein mysteriöser Taucher schwimmt durch den Stausee und nachts hören die Ploner wieder jenes Gerät toggen, das einst das Wasser der 
Bewässerungskanäle überwacht hat. 
«Graatzug» ist Familiendrama, Heimatroman und Krimi in einem. DieGeschichte ist mit Walliser Sagen und Dialekt reizvoll angereichert 
und schildert kriminelle Machenschaften. Diese Mischung ist interessant, doch sie führt zuweilen zu thematischen, beim Lesen nicht immer einfach nachvollziehbaren Sprüngen. Vor allem die eingeschobenen Sagen sind nicht immer einfach mit der aktuellen Handlung in Einklang zu bringen. Wer sich zum Lesen jedoch Zeit nimmt, wird das vielseitige Buch und die eigentümliche Atmosphäre des Bergdorfes schätzen. EVELINE RUTZ 
Woz, 5.4. 2007 
Urs AUGSTBURGER - Der «T. C. Boyle der Alpenliteratur» verwebt in «Graatzug» alte Sagen und zeitkritische Arbeitsreportagen zu einem spannenden Ganzen. 
Auf dem Berg, im Berg 
Von Bettina Dyttrich 
Sagen sind in. In Romanen und Theaterstücken, auf Wanderwegtafeln und in der Käsewerbung sind sie in den letzten Jahren wiederauferstanden, die Sennetuntschis und Quatemberkinder, Wildmannli und armen Seelen. Kein Wunder: Es sind dramatische, packende Geschichten, die sich unsere VorfahrInnen erzählten, und Kulturschaffende wie TouristikerInnen wären selber schuld, wenn sie nicht dar auf zurückgreifen würden. 
Doch sie müssen sich einige kritische Fragen gefallen lassen: Werden die alten Geschichten und die vergangenen Lebensformen, für die sie stehen, respektiert, oder dienen sie bloss als Kulisse? Entstehen aus dem Rückgriff auf Sagen neue Inhalte, oder soll er nur die eigene Ideenlosigkeit vertuschen? Der Klappentext von Urs Augst burgers neuem Roman «Graatzug» lässt nichts Gutes vermuten. Er klingt nach einem simpel gestrickten Gegenwartsmärchen, gewürzt mit armen Seelen und anderem Spuk. 
Doch das Buch liest sich rasant und gar nicht wie ein Märchen. Ort des Geschehens ist das fiktive Walliser Bergdorf Plon. In den sechziger Jahren wurde oberhalb des Dorfes ein riesiger Stausee gebaut, mit kilometerlangen Stollen, die das Wasser der Nachbartäler zuleiten. Bald soll ein zweites Kraftwerk unter dem Dorf eröffnet werden. 
«Graatzug» spielt auf zwei Zeitebenen. In der Gegenwart trifft der Hotelerbe Silvan Bohrer, der eigentlich lieber Filmemacher wäre, auf Lena Amherd, Umweltaktivistin mit Ploner Wurzeln. Sie ist im Dorf, um zu prüfen, ob die Kraftwerkbauer die umkämpften Umweltauflagen eingehalten haben. Als dritte Hauptfigur treibt sich Xeno Rothen in der Umgebung des Dorfes herum, ein schweigsamer Unbekannter mit Racheplänen im Kopf. 
Die Gründe für seine Rachepläne erfahren wir auf der zweiten Zeitebene: Anfang der sechziger Jahre ist der Bau der Staumauer im Gang. Der See wird den Hof von Xenos Grosseltern Pius und Julia Rothen überfluten. Pius weigert sich bis zuletzt, die Angebote der Bauherren anzunehmen, die ihm ein neues, modernes Haus versprechen. Lieber zimmert er seinen eigenen Sarg. Arnold, der Sohn, erträgt seinen Vater nicht mehr und sucht ausgerechnet im Stollen des Stausees Arbeit. Er lässt seinen Sohn Xeno bei den Grosseltern zurück. 
Urs Augstburger verwebt die beiden Zeitebenen zu einem spannenden Ganzen: Lena Amherd entdeckt illegale Machenschaften der Kraftwerkbauer, Silvan Bohrer findet zu sich selbst, und auch die Liebe kommt nicht zu kurz - sie ist voller Klischees und Missverständnisse wie in einem richtigen Bergroman. Eine überraschende Wendung führt zurück zur Sage, die am Anfang stand, und lässt sie auch für moderne LeserInnen gar nicht so fremd erscheinen. 
Doch es sind nicht in erster Linie die alten Sagen, die von «Graatzug» in Erinnerung bleiben. Dass das Buch mehr ist als ein schnell gelesener, spannender Bergkrimi, liegt an der zweiten Zeitebene. Hier beschreibt Augstburger eindrücklich die gefährliche, gesundheitsschädigende Arbeit der Mineure im Stollen, die noch gefährlicher gemacht wurde durch absurde Wettrennen und Lohnprämien für die schnellere Equipe. Vorbild waren ihm die Berichte und Filme zum Bau der Grande Dixence. Er schildert, wie imperialistisch sich die Stromkonzerne in den Bergen gebärdeten, wie Dörfer gespalten wurden, weil einige von der Entwicklung profitierten, viele andere aber verloren. 
Augstburger gibt Pius Rothen, einem der VerliererInnen, eine Stimme. Er zeigt, dass dieser Bauer mit seinen Wasserleitungen eine mindestens so bewundernswerte Leistung vollbrachte wie die Ingenieure mit ihrem Stausee. Der Welt des starrsinnigen Pius und seiner Frau Julia, die hin- und hergerissen ist zwischen dem Alten und dem Neuen, nähert er sich mit Respekt. Die Beschreibung dieser Arbeitswelten im Berg und auf dem Berg ist die Stärke von «Graatzug». 
NZZ, 24. April 2007 
Weise Walliserinnen - Urs Augstburgers Bergroman «Graatzug» 
Auf der letzten Seite angelangt, beherrscht man gleich mehrere Techniken und Künste: Wasserleitungen nach uralter Walliser Tradition genauso wie modernste Staudämme bauen sich nach der Lektüre von «Graatzug» mit links. Der fünfte Roman von Urs Augstburger ist zugleich ein Einführungskurs für den schwierigsten Schweizer Dialekt, in dem alle jenseits der Kantonsgrenze nur «Üsserschwyzer» heissen. Ausserdem versteht man nun nicht nur die Walliser, sondern endlich auch die Frauen. Doch der Reihe nach. 
Auf engstem Raum, dafür über mehrere Generationen hinweg spielt die Geschichte vom fiktiven Bergdorf Plon, wo die Errichtung einer Staumauer als Stolz und Verdienst der einen, als Dorn im Auge oder gar als Untergang der anderen das Leben umkrempelt. Der Konflikt zwischen Vater und Sohn entspricht dem Kontrast zwischen alter und neuer Technik der Wassernutzung: Während der Ältere sich mit Hingabe dem Ausklügeln und Ausbessern der hölzernen «Kännel» zur Bewässerung der Felder widmet, zieht die Idee des Wasserkraftwerks den Jüngeren in ihren Bann. Beide verharren jedoch nicht stur auf ihrem Standpunkt, so wie es überhaupt eine Stärke des Romans ist, dass manche Figur in ihrer Position auf schwachen Füssen steht oder nach und nach ins Wanken kommt, so dass die Fronten nicht ein für alle Mal klar sind. Wer keinen Kännel zu reparieren hat und nicht Mineur werden will, mag bei den minuziösen technischen Beschreibungen etwas ungeduldig werden. Aber er wird nicht sagen können, der Autor habe sich ungenügend eingelesen in diese Künste und benütze sie bloss als blasse Kulisse. 
Dank massvollen walliserdeutschen Einsprengseln, die im angehängten Glossar erklärt werden, gelingt die - für jeden Bergroman gefährliche - Gratwanderung zwischen übertriebenem Lokalkolorit und fehlender Authentizität. So lässt sich das Buch auch als Dialekt-Fibel zum Sprachquiz benützen. Bedeutet es Lob oder Tadel, als «Gläfjer», «Grindjig», «Chropfgöich», «Muffjig» oder «hooreidä Zipfel» betitelt zu werden? Die Bergler-Sprache ist nicht zimperlich, das Verhältnis also 0:5. 
Umso mehr schmeichelt Augstburger dafür den Frauen. Sie sind die wahren Helden des Romans. Sie sind offener und beweglicher als die Männer, denken immer schon einen Schritt weiter. Aus ihrem Mund erfahren die Leser Lebensweisheit: dass früher nicht alles besser gewesen ist und dass das Leben ans Lebendige geht. 
Während die Männer die Höfe vererben, geben die Frauen Geschichten weiter, denn sie wissen, wozu: Erzählungen helfen, mit Schicksalsschlägen umzugehen. Sie wissen auch, dass sich Männer oft etwas einreden, und reden ihrerseits wirklich miteinander. Das freut uns natürlich - zumindest so lange, bis wir den Inhalt dieser trauten Gespräche berichtet bekommen: Sie tauschen sich aus «über das Monatsblut», das ihnen «manchmal die Beine hinab bis in die Schuhe» läuft. Schon immer wollten wir wissen, wie sich Männer Frauengespräche vorstellen. 
Christine Weder 
Netzrezension auf www.nahaufnahmen.ch, 6.4.2007 
Wenn der Merkhammer schlägt 
Urs Augstburger: \"Graatzug\" (Bergroman) 
Das Bergdorf Plon als Schauplatz des von der Modernisierung eingeholten Geschehens, beschrieben aus der Sicht zweier betroffener Familien in der Zeitspanne dreier Generationen. - Eine durch und durch packende Zeitreise in den Walliser Bergen. Der neue Roman von Urs Augstburger ist nach \"Schattwand\" der zweite Teil seiner Bergtrilogie und nicht weniger erfolgsverdächtig. 
Von Susanna Valentin. 
Als Plon in den 60er-Jahren von der Modernisierung eingeholt und ein Staudamm geplant wird, will Pius Rothen nichts davon wissen. Dessen Seegut passt nicht in die Pläne der Elektrischen; es soll geflutet werden. Die Familie, die sich noch nicht vom letzten Schicksalsschlag - dem Tod der Schwiegertochter Greth - erholt hat, wird auseinander gerissen. Arnold, der Sohn, begreift die Neuerung als Flucht und löst sich von Eltern und seinem Sohn Xeno, um für die Elektrischen das harte Leben als Mineur auf sich zu nehmen. Julia steht zwischen den beiden Männern. Die Pläne des neuen Seeguts locken, das Verlassen des alten Seeguts ist der Untergang ihres Mannes. 
Gib de armu Seele d Rüä 
Selma, Silvans Tante, hat für jede Begebenheit die entsprechende Erklärung aus der Walliser Sagenwelt. So auch für das plötzliche Toggen des Merkhammers, der Silvan auch 40 Jahre nach der Erbauung des Staudammes das Leben schwer macht. Er ist der Erbe des Dorfkönigs und führt nun dessen Hotelkette in Plon. Eine reine Vernunftentscheidung, denn eigentlich würde er viel lieber Filme drehen. Ausserdem spannt er so gezwungenermassen mit Pfammatter, seinerzeit eine treibende Kraft beim Bau des Staudammes, zusammen. Zu guter Letzt kreuzt auch noch die adrette Umweltaktivistin Lena Abderhalden seinen Weg, was das Ganze vorerst nicht einfacher macht. Ihre Vorurteile lassen sie zunächst die aufkeimende Sympathie für Silvan unterdrücken. Doch Lena wird urplötzlich mit einer völlig neuen Tatsache in Bezug auf ihre Herkunft konfrontiert. Eine Begebenheit, die die beiden doch noch zusammenführt. 
Ein Glücksfall 
Nach anfänglichen Wirrungen durch die Sprunghaftigkeit des Geschehens bleibt die Spannung auf dem Höchststand. Dadurch, dass Urs Augstburger Vergangenheit, Gegenwart und alte Sagen zusammenspielen lässt, schafft er eine ungemein breite Bildfläche des Geschehens. Das Ganze wird so nahtlos verknüpft, dass der Leser die ganze Bandbreite erfassen kann, was die Spannung bis zur letzten Seite aufrecht erhält. Der Autor lässt in \"Graatzug\" Gegensätze aufeinanderprallen und vereint Familiendrama und Krimi in einem. Zudem ist der Roman gespickt mit walliserdeutschen Ausdrücken, was das Ganze in einer sehr authentischen Atmosphäre erscheinen lässt. - Insgesamt eine überaus gelungene Mischung, die bis zum Schluss fesselt. 
Im Netz 
www.schriftsteller.net/homepageurs.htm 
Informationen über Urs Augstburger und dessen Werke 
Zum Autor 
Urs Augstburger ist 1965 in Brugg geboren und lebt in Baden (Aargau). 1997 erschien sein erster Roman \"Für immer ist morgen\". Es folgten 1999 \"Chrom\" und 2001 der Durchbruch mit dem Bergroman \"Schattwand\". 2004 erschien mit \"Gatto Dileo\" sein zweiter Erfolgsroman. 
SonntagsZeitung, 13.5. 2007 
Der Berg frisst sich in den Menschen 
Urs Augstburger schreibt mit «Graatzug» Sozialgeschichte 
von Sven Boedecker 
«Togg, togg, togg», machte einst der Merkhammer entlang den alten Walliser Suonen und vermeldete mit seinem regelmässigen Schlagen die Funktionstüchtigkeit der lebenswichtigen Wasserleitungen. Doch diese Zeiten sind längst vorbei, als im Jahr 2000 der Merkhammer um Mitternacht wieder durchs Tal schallt. Diesmal verkündet er Unheil, Tod und Verderben. Togg, togg, togg. 
Denn vierzig Jahre nach dem Bau der grossen Staumauer will in Plon einer Rache nehmen - an den «Elektrischen» (der Stromwirtschaft) und den geldgierigen Einheimischen. Dafür soll eine Naturkatastrophe sorgen, die alle in den Abgrund reissen wird. Pünktlich zur Eröffnung eines weiteren Kraftwerks. 
In seinem fünften Roman schildert der Aargauer Urs Augstburger, 42, wie die moderne Technik in die Bergwelt eindringt. Wie sie uralte Lebensweisen verdrängt, Bauern enteignet, Familien vernichtet und die Natur zerstört. «Graatzug» ist nach «Schattwand» (2001) der zweite Teil seiner Romantrilogie aus den Bergen. 
Den neuen Roman erzählt Augstburger - im Hauptberuf Redaktor beim Schweizer Fernsehen - auf zwei Zeitebenen. In der Gegenwart versucht der Ploner Hotelerbe Silvan Bohrer seine Immobilien an deutsche Investoren loszuschlagen, mit dem Erlös will er den Lebenstraum als Filmemacher verwirklich. Um den Wert des Hotels zu steigern, lässt er im nahen Naturschutzgebiet einen Golfplatz bauen. Das wiederum ruft die zornige Umweltaktivistin Lena Amherd auf den Plan. 
Das Duell der beiden leidet unter Augstburgers Neigung zum Schwülstig-Sentimentalen. So muss die Umweltschützerin erst ihren wahren Vater finden und später mit Silvan im Bett landen. «Das habe ich noch nie erlebt», darf sie danach hauchen. 
Doch was Augstburger auf der einen Ebene versemmelt, macht er auf der anderen spielend wieder wett. Denn er lässt in breit ausgemalten Rückblicken die 1960er- Jahre wieder auferstehen, als in Plon der Stausee gebaut wurde. 
Die Familie Rothen steht vor der Enteignung, weil ihr Hof dem Projekt im Weg ist. Der alte Pius verweigert die Umsiedlung, seine Ehefrau verhandelt heimlich mit den Elektrischen, und der Sohn Arnold geht in den Berg. Im Gamplüter Stollen - der soll später dem Stausee Wasser aus den Nachbartälern zuführen - arbeitet Arnold Rothen als Mineur im Vortrieb. 
Und das bedeutet: Schwerstarbeit an der Front. Nach den Sprengungen droht immerzu der Einsturz, doch der Vorarbeiter treibt die Mineure mit irrwitzigem Tempo voran: «Är kujoniert alli», denn er gehört zu «d meeru Heeru». Letzteres heisst so viel wie «die besseren Herren» - beim Walliserdeutsch hilft ein Glossar. 
Arnold und seine Kollegen wühlen im Dreck wie Arbeitssklaven zu Beginn des Industriezeitalters. Sie sind ständig mit dem Tod bedroht, die Staublunge gibt es als Zugabe. «Der Berg frisst sich in uns hinein», wird Arnold von einem Italiener belehrt, «nicht wir in ihn. Und er bleibt in uns drin.» In solchen ergreifenden Passagen gelingt Urs Augstburger nicht weniger als Schweizer Sozialgeschichte. Denn er hat sich bei den grausigen Schilderungen der Arbeit im Vortrieb vom Bau der Grande Dixence im Wallis inspirieren lassen. Und damit im «Graatzug» all den kleinen Leuten ein Denkmal gesetzt. 
Urs Augstburger: «Graatzug». Bilgerverlag, 352 Seiten, 39 Fr. 
Norddeutscher Rundfunk, NDR, 22.6.2007 
Vorgestellt von Sina Ness 
Sendetermin: 12.30 Uhr 
Der Bau einer gigantischen Staumauer hat das kleine Bergdorf Plon in den Walliser Alpen in die Realität der Jetztzeit katapultiert. Da, wo sich einst die letzten Ausläufer der Gletschermoränen ins Tal streckten, liegt nun ein Stausee. Der Tag der Eröffnung des Stauwehrs steht kurz bevor. Im hochmodernen Hotel treffen sich die Vertreter der Regierung, der Elektrischen und der Umweltorganisation GreenForce. Silvan Bohrer, der junge Erbe des Stauwehrs, verguckt sich in die Umweltaktivistin Lena Amherd. Diese jedoch ist dabei, eine Umweltsünde der Bauherren aufzudecken. Sie zeigt dem Verehrer zunächst die kalte Schulter: 
\"’Sind Sie noch zu retten?’ 
Er sagt nichts, er schaut nur. 
\'Moment!’ 
Lena schließt die Tür. Sie zieht das Laken vom Bett, wickelt sich von Kopf bis Fuß ein, ordnet ihre Gedanken, dann öffnet sie die Tür wieder. 
\'Ein Uhr dreißig. Wie gut ist Ihre Entschuldigung?’\" 
Aber Lena Amherd eine Grenzgängerin, an der Schwelle zur Welt der Mythen und Sagen, ein Quatemberkind. So nennt man im Plontal Menschen, die einen Zugang zum Übersinnlichen haben. Diejenigen, welche den Graatzug sehen können: Den Umzug der ruhelosen Seelen der Verstorbenen, die ins ewige Eis hinaufziehen. 
\"Jene vollmondgrünen, leuchtenden Schleier, die wie Nebelfetzen und in Windeseile den Bergkämmen entlang glitten. Aber was war mit den Geräuschen? Diesem raunenden Chor aus Wehklage, Gesang und Gemurmel, der den wandelnden Verstorbenen vorauseilte? Nur Einbildung? Nur der Wind, der vielstimmig durch die Balken der alten Holzhäuser zischelte?\" 
Die Vorgeschichte eines Familiendramas 
Geschickt verknüpft der Autor Urs Augstburger die Fäden seiner Geschichten. Auf verschiedenen Zeitebenen erzählt er die Vorgeschichte eines Familiendramas: Vom Zerwürfnis Xenos Vaters mit dem Großvater, von Xenos einsamer Kindheit und schließlich vom Tod des Vaters, bei der Arbeit als Mineur für die Stausee-Gesellschaft im Plonmassiv. An den Erbauern der Staumauer plant Xeno Rothen nun Rache zu nehmen: 
\"Jetzt lach ich, Großmutter, siehst du? Und ich werde tanzen, wenn hier der halbe Berg ins Tal rutscht, der Schlamm, das Geröll, die Felsen, turmhoch! Vielleicht wird unten im Tal die Plon gestaut, stell dir vor, Großmutter! Dann haben sie noch einen Staudamm. Einen neuen!\" 
Xenos geplante Sabotage lädt die Geschichte mit einer ungeheuren Spannung auf und ist immer wieder Schnittstelle zu den anderen Erzählsträngen. Etwa zur Geschichte der Annäherung zwischen Lena Amherd und ihrem Gegenspieler Silvan Bohrer. Mit dem Roman Graatzug gelingt Urs Augstburger eine effektvolle Mischung aus Generationenroman, Geistergeschichte und Krimi in der Enge und Versponnenheit eines Alpentals. Vor den Kulissen der Klimaveränderung wird der Roman zu einem aktuellen und aufgeladenen Werk. 
Berner Zeitung, 29.6.2007 
Bergluft zwischen den Zeilen 
In seinem Heimatroman «Graatzug» erzählt der Aargauer Urs Augstburger eine Generationen umspannende Familientragödie im Konflikt von Bergnatur und Technik. Sein Werk passt bestens in die prächtige Alpenkulisse des Literaturfestivals Leukerbad, das am kommenden Wochenende zum 12. Mal stattfindet. 
In einem fiktiven Walliser Dorf hat der Bau einer Staumauer das soziale Gefüge durcheinandergebracht: Zu den Gewinnern gehört die Hoteliersfamilie Bohrer, zu den Verlierern die Rothens, deren Hof überflutet wurde und deren Sohn Arnold im Stollenbau ums Leben kam. Vierzig Jahre später, als ein zweites Kraftwerk eingeweiht werden soll, kehrt der Enkel Xeno Rothen zurück, um sich zu rächen. 
Viele Figuren 
Und plötzlich hört man wieder das Tock, Tock des Merkhammers, der früher das Funktionieren der vom alten Rothen in Stand gehaltenen Wasserleitung ankündigte. Ob es der «Graatzug» der verlorenen Seelen auf dem Gletschereis ist, von dem die sagenkundige alte Selma erzählt? 
Zur selben Zeit plant der Hotelerbe Silvan Bohrer, der lieber Filmer wäre, im Naturschutzgebiet einen Golfplatz. Doch die ebenfalls aus dem Dorf stammende Umweltschützerin Lena kommt ihm auf die Schliche. Trotz ihres Interessenkonfliktes verlieben sich die beiden; zugleich entdeckt Lena, wer ihr richtiger Vater war. Und in einem furiosen Finale entlädt sich die rächende Naturkatastrophe. 
Solide Fakten 
«Graatzug» ist der fünfte Roman des 42-jährigen Aargauers Urs Augstburger, der zweite einer geplanten Bergtrilogie. Wie schon im ersten Band «Schattwand» (2001) zeigt er die verhängnisvollen Folgen der Vergangenheit für die Gegenwart: «Tomorrow is the price for yesterday» zitiert er als Motto Bob Seger. 
Offensichtlich stützt sich der Autor auf solide recherchierte Fakten, vor allem zur Technik alter Wasserleitungen wie moderner Kraftwerke. Und die erschütternde Schilderung der unmenschlichen Arbeitsbedingungen im Stollenbau beruht auf Erlebnisberichten von der Grande Dixence. Nicht zufällig betreut der Autor beim Schweizer Fernsehen die Abteilung Dokumentarfilme. 
Zur Authentizität tragen ebenfalls die in den Text eingestreuten Ausdrücke in Walliser Mundart bei, die in einem Glossar erklärt werden. Auch sie sind Ausdruck von Augstburgers starker Faszination für die Welt der Berge und ihrer Kultur. «Hier verschärft sich alles, Licht und Schatten treten klarer hervor – in der Natur wie in den Menschen», meint Urs Augstburger. 
Spürbare Konstruktion 
So spürt man auch seine Zuneigung zu seinen Figuren. Trotzdem scheinen sie oft eher Rollenträger zu sein denn Geschöpfe aus Fleisch und Blut. Ebenso wirkt die Verknüpfung der vielen verschiedenen Erzählstränge mehr konstruiert als gewachsen, und der ständige Wechsel der Zeitebenen erschwert die Lektüre. 
«Ein Autor darf alles, nur nicht langweilen», sagt Urs Augstburger und steigert gekonnt die kriminalistische Spannung. Doch er packt fast zu viel in seinen – übrigens typografisch sehr schön gestalteten – Roman. Ein wenig mehr Bergluft zwischen den Zeilen hätte gut getan. 
Marie-Louise Zimmermann 
Der Rheinische Merkur, 12. Juli 2007 
Bergroman? Das war einst ein vor allem in der Schweiz beliebtes literarisches Genre. Heute ist es fast vergessen. Doch nun legt der 1965 geborene Urs Augstburger einen „Bergroman“, den Mittelteil einer Bergroman-Trilogie, vor – und hat doch etwas ganz anderes geschrieben. 
Dieser Autor, bereits als helvetischer „T. C. Boyle der Alpenliteratur“ apostrophiert, vermischt vieles. So ist diese Geschichte um Schuld und Sühne der Großvätergeneration, die die Enkel einholt (und läutert), gleichzeitig ein Liebes-, Rache-, Abenteuer-, Ökologie-, Industriearbeiter-, 
ein Erziehungs- sowie ein Mythenroman. In den 1960ern verlor im Walliser Dorf Plon infolge eines Stauseeprojekts die Familie Rothen nicht nur Hof und Existenzgrundlage, sondern auch den Erben, der als Mineur ums Leben kam, und kurz darauf das sich der Moderne entgegenstellende Familienoberhaupt. Die Bohrers hingegen profitierten, sattelten um auf Tourismus und wurden reich. Und doch ist 40 Jahre später Silvan Bohrer unzufrieden, will er doch viel lieber Filme drehen als ein Hotel managen. Ein neues Kraftwerk soll eröffnet werden. Da ertönen merkwürdige Hammergeräusche, die an alte Sagen erinnern, den Graatzug etwa, eine unheimliche Prozession Toter, die auf der Erde wandeln. Eine übersinnlichbegabte Umweltschützerin und ein Rächer, der das Großprojekt tatkräftig torpediert, vervollständigen das Personal dieses süffig, ja rasant erzählten Romans. Urs Augstburger erweist sich hiermit als eine der kraftvollsten literarischen Stimmen der Schweiz. aky 
St. Galler Tagblatt, 6. August 2007 
Verlorene und verkaufte Seelen 
«Graatzug»: Der zweite Teil von Urs Augstburgers Bergtrilogie 
Der Bergroman kommt zurück – in einer zeitgemässen Form: Urs Augstburgers 
«Graatzug» schildert alte Traditionen und moderne Konflikte in einer ebenso 
süffigen wie spannenden Geschichte. 
Richard Butz 
Auf «Schattwand» (2001) folgt in der vom 42-jährigen Aargauer Schriftsteller Urs Augstburger angekündigten Bergtrilogie der Roman «Graatzug». Ort der Handlung ist das fiktive Walliser Dorf Plon. Hier spielt sich auf zwei Ebenen ein dramatisches Geschehen ab. In den 1960er-Jahren bricht in die scheinbar heile Welt der Bergbauernfamilie Rothen Unheil herein. Eine 
Staumauer soll gebaut, ihr Hof überflutet werden. Vater Pius Rothen, der noch die althergebrachte Art der Wassernutzung über 
hölzerne «Kännel» pflegt und beherrscht, weigert sich, die Angebote der Bauherren anzunehmen. Er gerät deswegen in einen bitteren Konflikt mit Sohn Arnold, der gegen den Willen des Vaters als Mineur beim Stollenbau anheuert, umkommt und den Sohn Xeno zurücklässt. Fast 40 Jahre später kehrt Xeno ins Dorf zurück, um sich für diesen Tod zu rächen. Jetzt ist wieder das Tock, Tock des Merkhammers, der früher das Funktionieren von Vater Rothens Wasserleitung anzeigte, im Dorf zu hören. Oder ist es der «Graatzug» der 
verlorenen Seelen auf dem Gletschereis, wie eine alte Sage berichtet? 
Gleichzeitig mit dem umhergeisternden Xeno kommt Lena Amherd ins Dorf. Sie will prüfen, ob bei einem Golfplatz, der in einem Naturschutzgebiet geplant ist, die Umweltauflagen eingehalten werden. Sie trifft auf den Urheber des Projekts und Hotelerben Silvan Bohrer und verliebt sich trotz des Interessenkonfliktes in ihn. Es kommt zu einem fulminanten Mehrfach-Finale: Silvan findet zu sich, Lena erfährt, wer ihr wahrer Vater ist, und Xeno löst eine Naturkatastrophe aus. Augstburger verknüpft die verschiedenen Ebenen zu einem packenden und süffig 
erzählten Bergdrama, zu einem literarischen Krimi. Der Autor hat sorgfältig recherchiert, beschreibt ebenso detailgetreu und gekonnt die uralte Walliser Tradition der Wassernutzung wie den modernen Staudammbau. Er schildert das Auftreten der Stromkonzerne, das Dörfer und Familien spaltete und Gewinner und Verlierer hinterliess. Immer wieder flicht Augstburger Walliser Mundartausdrücke in den Roman ein, die im beigegebenen Glossar erklärt sind.Weitere Bezüge schafft er zur Walliser Sagenwelt und verweist dazu als Quelle auf den einheimischen Dichter Adolf Fux. 
Doch nicht alles gelingt dem Autor gleich gut. Die Liebesszenen gleiten gerne ins Schwülstige ab, und die Frauenfiguren wirken nicht immer 
glaubhaft. Das Kunststück, grosse Themen wie Rache, Abenteuer, Umwelt, Liebe, Industriegeschichte, Mythen, Sagen und Mundart-Exkursionen in ein einziges Buch zu verweben, übersteigt streckenweise die Gestaltungskraft dieses Autors. Trotz diesen kritischen Einwänden erweist sich Augstburger in seinem fünften Roman als eine wichtige Stimme in der aktuellen Schweizer Literatur. Er führt das Genre des Bergromans fort und belebt es neu.