Quelle Odeur! Quelle Horreur!

Gespräch mit Kaspar Schnetzler über Chirurgen, Marathonläufer und einen Besuch von Niklaus Meienberg.

R.B. Was ist eine Gilde? 
K.S. Berufsleute, die sich zusammengeschlossen haben, um ihre Interessen möglichst effizient wahrzunehmen. Vordergründig steht berufliches Engagement im Raum, in der Tat sind Geld, Macht und Ego deren Dreifaltigkeit. In meinem Roman handelt es sich dabei um die Amsterdamer Anatomen von 1669. 
R.B. Also ein historischer Roman? 
K.S. Sind «Das Parfüm», «Der Name der Rose» oder «Der Medicus» historische Romane? So gesehen: Ja. «Die Gilde» spielt in der Gegenwart des Jahres 1669. Auf einem virtuellen Kongress von Semiotikern, Sensualisten, Sensationisten und Sezierern des Jahres 2002, würde man heute sagen. Und als berührende Liebesgeschichte stellte sie sich sowieso ausserhalb von räumlichen und zeitlichen Bedingtheiten. 
R.B. 1669 ist das Todesjahr des Malers Rembrandt, der auch bei Ihnen eine nicht unbedeutende Rolle spielt. 
K.S. Genau. Rembrandts Selbstporträt, das er mit 60 Jahren, also in meinem Alter malt, ist das mir wichtigste Bild überhaupt. Rembrandts Malerei trifft meine Seele.Und seine Bilder von den Amsterdamer Anatomen sind die Lehrbilder zur Anatomie des Menschenschlecht-hin. 
R.B. Wer kennt nicht «Die Anatomie des Doktor Tulp», dieses Paradestück gesellschaftlich inszenierter Leichenöffnung? 
K.S. Nicht zu vergessen, dass es Doktor Tulps Abschiedsgeschenk an die Gilde war. 
R.B. Und wem schenkt jetzt Kaspar Schnetzler «Die Gilde» zum Abschied? 
K.S. Dreissig Jahre Lehrexistenz im Auge der Gilde sind genug. 
R.B. «Die Gilde» geht im eigentlichsten Sinne des Wortes unter die Haut. Mit wissenschaftlicher Akribie beschreiben Sie den Weg des Skalpells auf der Suche nach dem Sitz des Gedächtnisses. Haben Sie keine moralischen Skrupel? 
K.S. Moralische Skrupel? – Nein, die Anatomie galt zu der Zeit als «spiegelnde Strafe». Erst mit der Entfernung des Gehirns ereilte einen zum Tod verurteilten auch die moralische Bestrafung. Dann gibt es da auch eine Briefstelle beim Philosophen Descartes, in der er beschreibt, dass er in Amsterdam sei und sich «anatomelnd» auf der Suche nach dem Sitz des Gedächtnisses befinde. 
R.B. Gehirn, Gedächtnis, Bewusstsein als wäre 1669 heute. «Die Gilde» als top-aktueller Wissenschaftsroman? 
K.S. Was heisst schon «topaktuell» - als ich vor Urzeiten meinen längst verramschten Roman «Der Fall Bruder» veröffentlichte, schrieb Frau Nowak, Kritkerin in der NZZ, abgesehen von Heinrich Böll habe sich niemand auch nur annähernd so intensiv mit der Vergangenheit auseinandergesetzt. «Top-aktuell» meinte damals «zu früh». 
R.B. Legendär, obwohl kommerziell Flops, sind auch Ihre weiteren Bücher? 
K.S. Legendär? Na ja, 1977 erhielt ich den Schillerpreis für den «Fall Bruder», 1993 erhielt ich den Journalistenpreis für eine Reportage über einen Bauern im äussersten Zipfel bei Pruntrut. In den 80er Jahren erschienen die Reportagen über Zürichs «Quartiere». Im Sammelband nicht gedruckt meine über den Kreis 1, nach deren Publikation in der NZZ Niklaus Meienberg, damals aus Hamburg, und Laure Wyss telefonisch ihre Begeisterung bekundeten. Meienburg besuchte mich in der Folge auf einer seiner Motorradreisen, an einem Sonntag in Schönenberg, wo wir kalten Braten mit Härdöpfeldampf assen und im Kinderzimmer, wo der einzige Fernseher im Haus stand, zusammen mit den Kindern die Serie «Motel» schauten. 
R.B. Ihre Lieblingsbücher aus eigener Feder? 
K.S. Zweifellos «Meine galizische Sehnsucht», Geschichten aus der Ukraine, und «Dr. Huch, Lenin, Keller & Co», unwahrscheinliche Begegnungen in Zürich. Doch lassen wir die Vergangenheit. 
Sie ist so weit weg wie der Start für 
den Langstreckenläufer im Anblick des Ziels. 
R.B. Sie gehen weite Wege, Herr Schnetz-ler. 
K.S. Ich gehe die Wege, die ich als Marathonläufer gewohnt bin. Zu Fuss von Genf nach Marseille, zu Fuss von Hannover nach Zürich, und als Finisher am London-Marathon. Das Publikum ist mein Ziel. Dahin bin ich unterwegs. Das Ankommen wird mir eine grosse Freude sein. 
R.B. Erfolg? 
K.S. Das lass ich mir gefallen. 
R.B. Ihr grosses Vorbild? 
K.S. Segal mit seiner «Lovestory». Der war Dozent an der Harvard University, war ein guter Marathonläufer und hat einen Weltbestseller geschrieben. Ich habe fünfzig Kilometer nördlich von Harvard an einem College unterrichtet. 
R.B. Und? 
K.S. Ich bin vor wenigen Jahren den Marathon in drei Stunden dreissig gelaufen. 
R.B. Und? 
K.S. Ich habe «Die Gilde» geschrieben. 
R.B. Kaspar Schnetzler, danke für das Gespräch.

Dies und Das

Buchpremiere mit Kaspar Schnetzler

Montag, 29. Mai 2017 um 20:00 Uhr. Wir feiern die Buchpremiere des opulenten Historienromans »Glocken und Kanonen«. Am selben Tag feiert Kaspar Schnetzler seinen 75sten Geburtstag. Wir freuen uns über alle, die aus dem einen oder anderen oder aus beiden Gründen an der Veranstaltung im Karl der Grosse in Zürich teilnehmen.

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Buchmesse in Genf vom 1. bis 5. Mai 2013

Unsere Bücher finden Sie am Gemeinschaftsstand der deutschsprachigen Verlage aus der Schweiz. Am Freitag, 3.5. um 14 Uhr feiern wir dort mit Anne Cuneo das Erscheinen ihres Romans »Eine Welt der Wörter«. Um 16 Uhr signiert Patrick Deville seinen Roman »Äquatoria«. Am Samstag 4.5. liest und diskutiert Kaspar Schnetzler ebendort. Der Verleger Ricco Bilger ist am Donnerstag und am Freitag persönlich anwesend.

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Quelle Odeur! Quelle Horreur!

Gespräch mit Kaspar Schnetzler über Chirurgen, Marathonläufer und einen Besuch von Niklaus Meienberg.

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Rembrandt im bilgerverlag

Brief an den bilgerverlag vom 2. Februar 2006.

Sehr geehrter Herr Bilger, 
die Welt steht Kopf und vergisst darob das Sehen. Vor vierhundert Jahren, an einem Tag mitten im Juli wurde Rembrandt Harmenszoon van Rijn, kurz Rembrandt genannt, geboren. Am 4. Oktober 1669 wurde der grosse Maler des Helldunkel in einem anonymen Grab beigesetzt. Das wissen Sie sicher alles auch. Ich will Sie auch nicht lange aufhalten, nur soviel: 

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Kaspar Schnetzler
Fotografie: Ayse Yavas

Kaspar Schnetzler

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